Das Enneagramm des Wandels

von Ulrike Porep

Vorwort zur dritten Auflage

Damals ging es mir um die Darstellung der fixierten Sichtweisen eines Menschen, die einen Neubeginn behindern. Das Enneagramm macht diese Sichtweisen und ihre darunterliegenden Kräfte sichtbar. Alles hier Mitgeteilte gilt natürlich nach wie vor.

Fast zehn Jahre später, 2019, möchte ich einen Einblick geben in die weitere Entwicklung der Arbeit mit dem Enneagramm auf dem inneren Weg.

Ich bin ja als Psychotherapeutin auf den inneren Weg gekommen, weil ich mich in meinem Verständnis der Probleme, die meine Klienten mitbrachten, begrenzt fühlte. Warum konnten oder wollten Menschen nicht einsehen, dass es darum ging, die Kindheit mit all ihren Problemen hinter sich zu lassen und erwachsen zu sein? Was erwachsen sein bedeutet und warum so sehr an regressiver Kindlichkeit und damit am Leiden festgehalten wird, das war mir ein Rätsel. Mein Erwachsensein reichte zumindest so weit, dass ich mich auf die Suche begab nach einem Lehrer, der mich über die Geheimnisse der menschlichen Psyche aufklären konnte, der das Leiden überwunden hatte und von einem ganz anderen Standpunkt lehrte als die Therapeuten, die oft hilflosen Helfer. Ich fand also zu OM C. Parkin, der als erwachter Lehrer in einer spirituellen Zeitschrift vorgestellt wurde, der das Wissen über das Enneagramm in einer Ausbildung vermittelte. Das war Ende 1996.

Das Enneagramm interessierte mich sehr und ich begab mich in die Ausbildung, die damals zwei Jahre dauerte, dann aber mein weiteres Leben bestimmte. Das Enneagramm gab mir ein Basiswissen über die Verirrungen des Menschen in seinem Geist (meine eigenen Verirrungen eingeschlossen).

Aber wie war das Wissen zu übertragen auf die therapeutische Arbeit? Therapeutische Arbeit wurde zum ‚Inneren Weg‘. Es ging nicht um Veränderung der Fixierung, des Egos-Geistes, sondern um Erkennen. Also um einen Weg der Auflösung des fixierten Geistes. Das kann man nicht „machen“, das kann nur geschehen auf dem Weg der Einsicht und des ganzheitlichen Verstehens, eines Verstehens mit dem Herzen.

So habe ich begonnen, mich für das Konzept des Inneren Kindes und die Entwicklung ins erwachsene Menschsein zu interessieren und damit zu arbeiten.

Und ich entdeckte, dass das sogenannte ‚Innere Kind‘ nichts anderes ist als der kindliche Geist, der fixiert ist auf eine bestimmte Glücksvorstellung.

Fixiertes Denken und Fühlen sind festgehaltene, zumeist unbewusste geistige Konditionierungen aus der Kindheit, also die Folgen der Erziehung durch begrenzte Erwachsene, die es eben nicht besser wussten. Auch sie waren ja fixiert in eigenen kindlichen Mustern.

Die Anwendung des Wissens um die geistigen Ego-Strukturen des Menschen führte mich zu einer neuen Form der Arbeit mit dem Inneren Kind. Auch darüber werde ich schreiben. Wie und wann das so weit gereift ist, dass es in Erscheinung treten kann, weiß ich nicht. Ich lasse es entstehen und bin zuversichtlich, dass es vom Leben gewollt ist.

Ulrike Porep, Juni 2019

Die Entstehung der Fixierung
Alles hat begonnen mit einem Gedanken, dem Ich-Gedanken, der nichts anderes ist als ein Nein zum Leben und dem natürlichen Zusammenspiel der drei Kräfte. Der Mensch sieht sich als getrenntes Wesen, das ein „eigenes Leben“ aufbauen kann, ein Leben frei von Leid, ein egoistisches Leben mit illusionären Glücksvorstellungen. Aber hier beginnt das Leiden eigentlich erst: das Leiden an einem Geist, der sich als „Ich“ eingeschlichen hat und den Menschen fixiert auf eine geistige Haltung, die ihm selber nicht mal bewußt ist.

Dieses Nein manifestiert sich in den drei Zentren von Intelligenz und bewirkt genau hier die Hemmung, das Hindernis. Es verbindet sich mit der Kraft der Geburt und Schöpfung oder mit der Kraft des Bewahrens oder mit der Kraft der Zerstörung, je nach der „Anfälligkeit“ des betreffenden Intelligenzzentrums in einem menschlichen Energiekörper. Was bewirkt dieser Befall nun in den betreffenden Menschen? Aus einem dynamischen Enneagramm, in dem drei Wirkkräfte gleichzeitig wirken und den Charakter formen, wird ein stagnierendes Enneagramm.

Dynamisch heißt: der Schöpfungsimpuls, die Auseinandersetzung mit der Begrenztheit des Erschaffenen und der Ruhezustand (Ergebnis der Zerstörung) bedingen einander und bilden ein Spiel der Kräfte. Das „Ich“ erschafft sich in diesem Kräftespiel einen eigenen Standpunkt und versucht von dort aus, eine Eigendynamik zu entwickeln, die der Gesamtdynamik entgegensteht. So erschafft das „Ich“ in einer Grundhaltung des „Nein“ einen fixierten Standpunkt, der psychologisch ausgestaltet wird zu einer persönlichen Lebensphilosophie. Je nach Standpunkt (1 bis 9) entspricht diese geistige Haltung einem ganz bestimmten Muster mit vorhersagbarer Dynamik und vorhersagbarem Leidensweg.

Oberflächlich gesehen bewahrt die Fixierung vor leidvoll erlebten Momenten im Leben eines Menschen, nämlich Momenten von Schmerz (Emotionalfixierungen 2, 3, 4), Angst (Mentalfixierungen 5, 6, 7) und Ohnmacht (Körperfixierungen 8, 9, 1).
Ich möchte nun die drei Kräfte, wie sie unter dem Einfluß des Ich- Geistes wirken, kurz beschreiben und dann einen Vertreter, bzw. eine Vertreterin dieser Fixierungsebene (in der Emotionalfixierung einen Enneatyp 4, in der Mentalfixierung einen Enneatyp 6, in der Körperfixierung einen Enneatyp 9) befragen, was sie selbst als Hindernisse für die Kraft der Wandlung betrachten. Es handelt sich bei den Gesprächspartnern um Menschen, die sich auf dem Inneren Weg befinden. Ihre Standpunkte und Sichtweisen sind Ergebnisse der Selbsterforschung.

Die Emotionalfixierung (Enneatyp 4)

In der Emotionalfixierung wird der schöpferische Impuls dazu verwendet (mißbraucht), eine Welt zu erschaffen, in der „Ich“ im Mittelpunkt steht und geliebt werden will. Ausgehend von der Idee des Ungeliebtseins, vom Gefühl des Mangels und der emotionalen Verletzung wird alles in Bewegung gesetzt, was das wunderbare Gefühl, geliebt, geschätzt und gewürdigt zu sein, bewirken könnte. Das „Ich“ (be)nutzt die kreative Kraft für Ausdrucksformen, mit denen „Ich“ um Liebe und Anerkennung bettelt. Je nach Erfolg oder Mißerfolg dieser Bemühungen ist „Ich“ glücklich oder zutiefst unglücklich und verletzt.
Der Neubeginn setzt voraus, daß die Sucht nach äußerer Erfüllung aufgegeben wird, daß natürliches Sein geschätzt wird, so daß die Kraft wieder fließen kann als natürliche Schaffenskraft, die nichts für sich will und nichts verkauft.

Gespräch mit einer Frau, die eine Emotionalfixierung hat (Enneatyp 4)

Was ist schwierig und was ist einladend daran, sich der Kraft des Neubeginns zu öffnen? Warum darf diese Kraft nicht vollständig in dein Leben eintreten? Was siehst du, insbesondere im Zusammenhang mit deiner Fixierung, die ja eine Emotionalfixierung ist, als Hindernis? Was steht im Wege?

Was immer noch da ist, ist ein Geist, der wie ein Irrwisch ist. Die Gewohnheit ist, daß die Welt aus dem Herzbereich abgetastet wird, die Welt wird nicht empfangen, sondern ich versuche die Kontrolle zu bekommen über die Welt, über das Leben. Das wird über den Emotionalkörper gecheckt und dann blitzschnell eingeordnet, ob ich mich anvertrauen kann. Und das spüre ich als Herzschmerzen. Wenn ich z.B. Worte höre oder spreche, die nicht stimmig sind, dann merke ich, wie mein Herz reagiert.
In seltenen Momenten, wenn der Fluß auftreten darf, wenn das Männliche und das Weibliche in mir zusammenkommen dürfen, dann war das so beglückend, dann konnte ich das spüren. Das war ein ganz starker Neubeginn.

Kommentar: Es gibt offensichtlich eine Trennung zwischen männlicher und weiblicher Kraft, die durch Bewertung und Abspaltung geschieht. Die Wertung setzt das Männliche herauf und das Weibliche herab, was zu einem Gefühl innerer Bedürftigkeit und Mangel führt. Wo das Weibliche nicht geschätzt wird, da entstehen Leiden und der Versuch, „der bessere Mann“ zu sein.

Was steht dem normalerweise im Wege? Warum kann das nicht immer zusammen sein. Es muß ja einen Grund geben, daß du davon immer weggehst. Kannst du etwas sehen, was dich speziell in deiner Fixierung immer wieder wegbringt aus diesem offenen, beglückenden Raum?

Ja, auf jeden Fall der Neid. Es ist so, als könnte ich nicht ohne das Vergleichen sein. Ich gehe z. B. durch eine wunderschöne Eigentumswohnung, und es passiert dann, daß so ein Gedanke hochkommt wie: „Siehst du, und du hast es noch zu nichts gebracht!“; so ganz subtil scheint das so auf.

Auszug aus „Das Enneagramm als Modell des Wandels – Einführung in das Prinzip des Wandels“ von Ulrike Porep.